Freitag, 30. Mai 2008

防火长城: Die Chinesische Mauer 2.0

"Lieber Herr Hahndorf, Ihre Webseite kann ich aufrufen, aber der Link auf ihr Global-Sourcing-Blog funktioniert nicht", stand in der Email aus Beijing. Er funktioniert aber, wie wir sofort hektisch überprüft haben, ganz prima – nur eben nicht aus China. 防火长城 (fanghuo changcheng), die Große Chinesische Mauer im Cyberspace, hat offenbar auch den Sourceconomy-Blog ausgeschlossen. Ich bin versucht, das als Kompliment zu sehen, widerstehe aber gerade noch dem Drang, in die aktuell so moderne allgemeine China-Beschimpfung einzustimmen. Sie wird der Sache nämlich auch nicht gerecht: zu komplex und verfahren sind die Fragen rund um Tibet und Menschenrechte, Oligarchie und Demokratisierung, Drachen und Tiger. Wer es etwas differenzierter haben möchte, wird diesen Literaturhinweis schätzen: "Globale Rivalen: Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens" von Eberhard Sandschneider, dem Chef des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.. Ein differenziertes Buch, das die Beziehung des "Westens" zu China nüchtern analysiert, das Verständnis für chinesische Perspektive erheblich fördert und dennoch aus unserer globalen Rivalität keinen Hehl macht. Interessant finde ich vor allem die Beobachtung, dass ein zerstrittener Westen, der sich nicht auf eine einheitliche Linie gegenüber dieser Supermacht einigen kann, ihr auch nicht auf Augenhöhe begegnen kann. Lesenswert.

Zurück zur IT: Schade, das mit der Blockade. Gerade im Reich der Mitte ist noch so viel zu tun: Offshoring und Oustourcing in China ist weniger umfangreich, als man es vermuten würde. Die Allgegenwart Chinas in den Medien suggeriert eine Vormachtstellung auch hier. Aber noch sind es weniger als 10% des weltweiten Marktes, sagt Unternehmensberater McKinsey in einer neuen Studie. Man habe aber den Eindruck, daß sich dies schnell ändern könne, wenn sich die Chinesen dazu entschliessen, den Sektor zu fördern und die Leistungsfähigkeit ihrer Leute zu steigern. Meine These: Die Chinesen haben sich ja in der Vergangenheit nicht gerade als zögerlich oder zurückhaltend erwiesen, wenn es um die Erreichung einmal gesetzter Ziele ging. Da kommt etwas auf uns zu, was wir noch nicht einmal erahnen. Die Auswirkungen auf unsere lokale IT-Industrie, auch hier in Baden-Württemberg und in Freiburg, wird enorm sein.

Veranstaltungsrückschau: Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat gestern wieder einen ihrer inzwischen bekannten CampusTalks unter der Leitung von Martina Dalla Vecchia gegeben. Thema diesmal: Wirtschaftsspionage. Marco Marchesi, CEO der Schweizer Sicherheitsfirma ISPIN AG, hat eindrücklich vor Augen geführt, wie man in der Rolle als netter Kerl (neudeutsch: "per social engineering") Zugang zu sensiblen Daten bekommen kann. Mit einem freundlichen "Hallo ich bin der Marco vom Helpdesk" war es getan, schon sass er vor den eingeloggten Rechnern schweizerischer Versicherungsunternehmen. Im anschließenden World Café wurde intensiv diskutiert, wie man sich vor Wirtschaftsspionage schützen kann und wer ihr eher zum Opfer fällt. Nicht erstaunlich: Je mehr Wir-Gefühl in einem Unternehmen herrscht, desto geringer sind die Chancen von Außenstehenden, schädlichen Einfluß auszuüben. Ein starkes Team, welches gemeinsame Ziele verfolgt, bietet einem Eindringling oder einem Konkurrenten wesentlich geringere Chancen als eine zertrittene Mannschaft , die im inneren Exil lebt und sich gemeinsamen Zielen verschliesst.

Das wissen die Chinesen übrigens auch.