Freitag, 20. März 2009

Slumdog Millionär

Gestern habe ich "Slumdog Millionär" gesehen, einen wirklich eindrucksvollen Film. Wieder einmal wird klar, wen wir eigentlich meinen, wenn wir in der IT über "die Inder" sprechen: Nur 1,2 Promille (etwa anderthalb Mio. IT-Mitarbeiter in einer Gesamtbevölkerung von 1,2 Mrd.) der indischen Bevölkerung arbeiten in der Informationstechnologie und können sich einen Lebensstandard leisten, der weit oberhalb des indischen Durchschnitts liegt – und der unerreichbar ist für die kleinen Slumdog-Helden Jamal und Latika.

Slumdog Millionaire ist ein achtfach Oscar-prämierter Streifen im Bollywood-Stil, mit knallbunten Bildern, einem zu Recht ausgezeichneten Soundtrack, wirklich bösen Bösen und heldenhaften Helden. Im großen getanzten Finale in Mumbais "Hauptbahnhof" Chhatrapati Shivaji Terminus kommt Bollywood zu seiner ganzen visuellen Pracht, das tut nach der außerordentlich spannenden und teilweise tragischen Handlung in der Seele gut.

Unter IT-Gesichtspunkten ist mir aufgefallen: Die indische IT-Industrie realisiert ihr Wachstum vor allem auf dem Weltmarkt. Dazu wird sie in großem Stil von der Regierung geschützt und mit Sonderprivilegien ausgestattet (die indische Steueramnestie gilt nach wie vor!). Und so ist es auch die indische IT-Industrie, die die globale Wirtschaftssituation zu spüren bekommt – während Bollywood völlig ungerührt auf Hochtouren produziert. Slumdog Millionaire ist zwar ein britisch-amerikanischer Film, der in Indien gedreht wurde. Aber die indische Filmindustrie produziert selbst mehr als 1.000 (Tausend!) Filme pro Jahr fast ausschließlich für den heimischen Markt und kümmert sich kaum um den Weltmarkt. Und Bollywood wächst im Unterschied zur indischen IT-Industrie mit ungebrochener Dynamik. Seit es bspw. in Osteuropa attraktive Angebote für die Vergabe von IT-Aufträgen gibt, ist der internationale Markt für das indische Angebot deutlich schwieriger geworden.

Slumdog Millionaire hat in Indien für hitzige Debatten und sogar den Versuch gerichtlicher Verbote ausgelöst. Er zeigt, und darüber wird nun lebhaft gestritten, eine von vielen möglichen Perspektiven auf das moderne Indien, jenseits von Offshore-Outsourcing und Callcentern. Er zeigt auf mehrere Arten, wie weit entfernt Indien von Europa liegt. Und er zeigt in seiner allerletzten Einstellung etwas, was ein rechter Bollywood-Film sich verbeten würde: Einen echten Kuss auf der Leinwand.

Slumdog Millionär (2008 - R: Danny Boyle, D: Dev Patel, Madhur Mittal, Freida Pinto, Anil Kapoor, Irfan Khan) läuft seit 19.03.2009 bundesweit in den Kinos.