Samstag, 26. April 2008

Offshore Outsourcing stirbt!

Ich bewundere täglich aufs Neue das Stehvermögen und die Disziplin mancher asiatischer und osteuropäischer IT-Anbieter. Tag für Tag arbeiten sie unbeirrt ihre Vertriebslisten ab, sagen am Telefon ihre Sprüchlein auf, versenden ihre www-Adressen und Broschüren und notieren eifrig Kundenwünsche. Oder sollte ich besser sagen: Nicht-Kundenwünsche ? Das scheint näher an der Wahrheit zu liegen: Asiatische IT-Firmen klagen über den hohen Aufwand und die mässigen Erfolge ihrer Vertriebsanstrengungen bei Endkunden.

Neulich gestand mir ein technischer Einkäufer eines deutschen, milliardenschweren Handelsunternehmens – ein Traumkunde für jeden Global Sourcing-Anbieter – daß er nicht verstehe, was da angeboten wird. Ich glaube ihm das. Technologie- und Softwareanbieter aus dem fernen Ausland neigen dazu, mit unverständlichen, ans dadaistische grenzenden Aussagen zu werben („We give RFP in 24 hours!“) oder schmücken sich mit den irrsinnigsten Beinahe-Zertifikaten („we work with processes oriented along CMM level 4, and MS Gold is expected by Q4!“). Selbst wenn man sich auf der CeBIT 10 Minuten lang mit einem Anbieter unterhält, hat man dannach keine Ahnung, was er eigentlich verkaufen will. Auch für Experten mit einigen Jahren Erfahrung im asiatischen Technologiekontext ist es mitunter mühsam, herauszuarbeiten, was einen Anbieter wirklich aus der Masse herausheben und ihn zu einem attraktiven Partner machen könnte.

Damit Aufträge vergeben werden, müssen Anbieter und Nachfrager übereinkommen – und das passiert oftmals, und gerade auf solchen Messen, eben nicht. Die Anbieter können nicht einfach und sinnvoll erklären, was sie anbieten, und die Nachfrage sind ob der Komplexität der Informationen zu verwirrt, um irgendeine Entscheidung zu treffen. Meine Beobachtung ist: Der Bedarf besteht, aber er findet oftmals keine verständliche Antwort.

Das ist zunächst mal natürlich schlecht – einige der Anbieter werden das nicht überleben, ihre Angebote werden vom Markt verschwinden obwohl sie eigentlich gut waren, nur eben nicht gut verkauft. Auf lange Sicht ist die Entwicklung aber dann doch wieder gut, denn sie zeigt vor allem eins: Die Offshore-Outsourcing Branche reift. Sie ist erwachsen geworden. Sie ist heute komplex und steckt voller subtiler Details. Und, ganz wichtig: Die Nachfrager behandeln Global Sourcing / Offshore Outsourcing zunehmend wie Infrastruktur.

Die Offshore Outsourcing Industrie wird sterben. Nicht im eigentlichen Sinne – es wird in der Informationstechnologie immer globale Zusammenarbeit geben, solange die Transaktionskosten fast bei Null liegen – aber es wird für die Endanwender, die letztendlichen Nachfrager nach IT-Lösungen, keinen Grund mehr geben, sich auf der Cebit bei den indischen, tschechischen oder philipinischen Anbietern verwirren zu lassen. Wenn etwas zur Infrastruktur geworden ist, so wie Stromversorgung oder Internetverbindung, interessieren sich nur noch wenige für die Details der Herstellung. Es zählen nur noch Ergebnisse. Innovative, globale Wertschöpfungsketten sind nur noch interessant für Hersteller – deren Aufgabe ist es, attraktive Pakete zu schnüren, welche die Kunden dann kaufen wollen.

Niemand will „Offshore Outsourcing“ kaufen. Kunden wollen Lösungen: Datenbankanbindungen, SAP-Reports, Migrationen von A nach B. Sie wollen es schnell, qualitativ einwandfrei und möglichst günstig. Sie wollen sich nicht in fremde Kulturen einarbeiten, sie können auf verrauschte Telefonkonferenzen rund um den Globus verzichten, sie brauchen auch keine 3,5 Stunden Security-Wartezeit im Indira Gandhi Airport wenn sie mal „ihr Team“ besuchen waren. Sie wollen nichts damit zu tun haben. DAS ist die Zukunft von Offshore Outsourcing.

Stellen Sie sich vor, ein asiatischer Betreiber eines Schreibbüros müsste einer deutschen Anwaltskanzlei seine Dienste verkaufen. Er hätte einen schweren Stand, denn die Errungenschaften seiner Branche wären schwer zu vermitteln: Verschlüsselung von Übertragung von diktierten Inhalten über das Internet, Webportale mit Bereichen zum Hinterlegen von Diktaten und Dokumenten, Qualitätssicherung, Datenschutzvereinbarungen, ausgefeilte Trainingscurricula für die Mitarbeiter etc. Der Anwalt möchte einfach nur seinen Schriftsatz, und zwar fehlerfrei, schnell und zu bezahlbaren Kosten. Wie das en detail funktioniert, interessiert ihn überhaupt nicht. Daher werden solche Dienstleistungen auch nicht an Anwaltskanzleien, sondern an Bürodienstleister verkauft. Airbags (als Teil einer Sicherheits-Gesamtlösung) werden ja auch nicht an Autofahrer verkauft, sondern an Autohersteller. Ein Callcenter in Indien (als Teil eines Service-Pakets für Handies) wird nicht den Handybenutzern verkauft, sondern der Telekom. Software As A Service (SaaS) ist ein schönes Beispiel: Wen interessiert, wie Salesforce.com im Hintergrund funktioniert ? Hauptsache, meine Aktivitäten werden zuverlässig verwaltet!

Die CeBIT wird nun nicht völlig auf ihren Offshore Outsourcing Bereich verzichten. Dafür ist das Thema zu wichtig. Aber sie wird nicht mehr ganze Hallen dafür vorsehen, obschon immer wieder innovative Anbieter von Global Sourcing Ideen neue Produkte und alternative Wege für die Branche aufzeigen werden. Der Fokus der Branche wird sich jedoch von der breiten Masse zu einer stark verdichteten Gemeinde von Global Sourcing Profis verlagern. Auf fokussierten, hochkarätig besetzten Fachkongressen und Veranstaltungen werden sich die Macher der Industrie austauschen, werden die asiatischen und osteuropäischen Global Sourcing Anbieter mit den Technologieführeren Europas verhandeln und Angebot und Nachfrage zusammen bringen.

Samstag, 19. April 2008

7 Jahre in ...

Ich werde langsam alt: Ich habe gerade ein Paper zum Thema „Offshore-Outsourcing“ wiedergefunden, welches ich vor sage und schreibe sieben Jahren verfasst habe. Wie schön: Es stimmt alles im Großen und Ganzen auch heute noch. Die Gewichtungen haben sich ein wenig verschoben, es wird heute routinierter und realitätsnäher mit dem Thema umgegangen. Vor sieben Jahren wurden noch ausführliche, bis ins kleinste Detail durchdefinierte Anforderungen übergeben – heute wird zunehmend auf agile Methoden vertraut, die der Tatsache Rechnung tragen, daß die tatsächlichen Anforderungen an eine Softwarelösung oft erst während ihrer Entstehung deutlich hervor treten. Auch die früher üblichen Mammutverträge, mitunter hunderte von Seiten stark in dem Versuch, auch das unwahrscheinlichste juristische Schlupfloch zu verlegen, sind zumeist flexiblen, auf beiderseitiger Motivation beruhenden Absprachen gewichen. (Ein paar aktuelle Überlegungen dazu im CIO magazine.) Die Branche ist auch etwas älter geworden, vieles ist nicht mehr so schrecklich aufregend sondern gute betriebliche Praxis geworden, oder wie es auf neudeutsch heisst: Best practices haben sich herausgebildet. Dazu gehört auch, das nicht jede Firma, die erstmals Aufträge ins ferne Ausland vergibt, das Rad neu erfindet, sondern sich viele von Beginn an professionellen Rat holen.

Das jährliche India-Symposium der Schweizer Hochschule St. Gallen ist wahrscheinlich das beste in Europa. Schon beim ersten Forum 2005 war der indische Botschafter anwesend, Vorstände und akademische Autoritäten bevölkerten die Referentenliste. Heuer, beim vierten India-Symposium, liest sich der Prospekt der Referenten und Ehrengäste wie das Who-is-who der indischen Technologie- und Industrieszene. Vom Infosys-Gründer bis zu Indiens Mercedes-Benz-Chef sind sie alle da. Dr. Sigu Muringaseril, Gründer, Vorsitzender und Evangelist der Veranstaltung, ist Leiter des India Portfolio am Asia Research Center der Hochschule St. Gallen. Sein besonderes Augenmerk gilt dem strategischen Geschäftsbereich "Academia-to-Business (A-2-B)". Termin: 22. August 2008. Programm und Registrierung hier. Ich werde berichten.

Forrester hat eine neue Studie "Offshoring Strategies For Continental European Firms" veröffentlicht, in der – nicht überraschend – steht, dass Offshore-Outsourcing in Europa im Kommen ist. Das ist unter anderem deswegen wichtig, weil die Schwäche der amerikanischen Wirtschaft und die resultierende Aufwertung der indischen Rupie eine besondere Motivation für indische Anbieter darstellt, den europäischen Markt anzugehen. Tata Consultancy Services hatte seine Absichten für den deutschen Markt ja bereits deutlich formuliert (siehe meinen Blog-Beitrag vom 19.01.2008), andere werden folgen: Die indischen Anbieter bereiten sich intensiv auf den europäischen Markt vor. Deutsche und europäische Unternehmen, die ihre Zurückhaltung jetzt ablegen und die Inanspruchnahme dieser Services vorbereiten, können (noch!) frühe Vögel sein und den Wurm fangen.