Montag, 17. September 2007

Orangene Software

Die orangene Revolution hatte die Ukraine bereits vor einigen Jahren an die Spitze der globalen Berichterstattung katapultiert. Heute ist die Ukraine auch aus ganz anderen Gründen im Gespräch: Hier präsentiert sich eine hoch attraktive IT-Destination in Osteuropa, nur zwei Flugstunden von Frankfurt entfernt und den mitteleuropäischen Uhren um nur eine einzige Stunde voraus. Dutzende von Städtepartnerschaften und kulturellen Austauschprogrammen verbinden Westeuropa, insbesondere die deutschsprachigen Länder, mit den wirtschaftlichen und geistigen Zentren der Ukraine. Es erstaunt nicht, daß die norwegische EDB-Gruppe Anfang Oktober bekanntgab, zwei große ukrainische Softwarehäuser mit zusammen mehr als 600 Mitarbeitern übernommen zu haben – das skandinavische Unternehmen bildet damit die Speerspitze einer Outsourcing-Orientierung hin zur Ukraine.

Eine große Osteuropa-Beratung hat der Ukraine erst Mitte 2007 bescheinigt, „zweifellos das attraktivste Outsourcing-Zielland in Osteuropa“ zu sein. Dafür sprechen unter anderem die niedrigsten IT-Lohnkosten Europas, die mit 50% p.a. am schnellsten wachsende IT-Industrie und ein visafreier Reiseverkehr zwischen der EU und der Ukraine – wer schon einmal mit den asiatischen IT-Regionen zusammengearbeitet hat, weiß dies besonders zu schätzen. Über diese Erfolgsmeldungen hinaus sind jedoch durchaus auch einige kritische Blicke angebracht: So ist der bürokratische Hürdenlauf in der Ukraine noch immer von postsowjetischem Charme, die Schattenwirtschaft im Lande stark ausgeprägt (was es unter anderem schwierig macht, verlässliche Zahlen zur Entwicklung der IT-Industrie zu bekommen) und der Nachschub an gut ausgebildeten Entwicklern aus den Universitäten auf Jahre hinaus ein Engpassfaktor. Zumindest in diesem Bereich herrschen also (noch) keine indischen Verhältnisse. Dennoch ist man in Kiew guter Dinge: Hier liegt das Epizentrum der ukrainischen IT-Szene, hier arbeiten mehr als die Hälfte der Softwareentwickler des Landes. Die anderen wichtigen Universitäten liegen in Charkow und Lemberg, gemeinsam decken diese drei Städte mehr als vier Fünftel des Marktes ab, andere Standorte beherbergen selten mehr als eine Handvoll ernsthafter Mitbewerber.

„Twenty years ago India had no India with which to compete, as Ukraine does today. But the Ukrainians are coming and striving to attain their rightful place in the IT world“, schreibt die die amerikanische Handelskammer über den ukrainischen IT-Sektor. Diese Orientierung am großen Leitbild Indien verdeutlicht, wie weit entwickelt die Offshore-Vergabe von Softwareaufträgen bereits gediehen ist: Die Second-Movers betreten die internationale IT-Bühne und drehen dort -bereits erfundene- Räder. Das Businessmodell „Global Sourcing“ an sich ist allgemein akzeptiert, in den „klassischen“ IT-Destinationen ziehen die Löhne kräftig an - nun werden Alternativen gesucht. Die Ukraine kombiniert das bisherige asiatische Lohnniveau mit geografischer und kultureller Nähe zu Europa: Diese Entwicklung findet in den Universitäten, in den Unternehmen und auf den Märkten statt, und ihr Einfluß auf die Annäherung an Westeuropa ist vielleicht größer als der der orangenen Politik.